Tuckmans Teamphasen
„Mit Menschen zusammenzuarbeiten ist doch ‘ne Katastrophe“
In meiner Wahlheimat Karlsruhe umgibt mich ein sehr naturwissenschaftlich geprägtes Umfeld. Entsprechend merkwürdig wird man manchmal angeschaut, wenn man sagt, dass man Psychologie studiert hat und sich mit Menschen beschäftigt. Und dann auch noch damit, dass Menschen möglichst reibungs- und schmerzfrei, dafür aber zielführend und sich gegenseitig unterstützend zusammenarbeiten.
Die Verwunderung betrifft selten die Tatsache, dass man sich mit Menschen im Arbeitsleben beschäftigt, die Sinnhaftigkeit davon wird nicht bestritten. Sondern viel mehr, dass ich mich von so etwas klar mathematisch beschreibbarem, wie einem Ingenieurstudiengang, abgewandt habe und mich mit so etwas schwer messbarem und schlecht vorhersagbaren wie dem menschlichen Verhalten beschäftige.
Und sie haben natürlich recht. So groß der detektivische Spürsinn von Ingenieuren manchmal sein muss um alle möglichen Einflussgrößen zu bestimmen und Parameter bei Prozessen einzustellen, so beschäftigt man sich trotzdem fast immer mit unbelebter Materie, jedenfalls nicht mit Dingen, die ihre eigenen Befindlichkeiten haben.
Beim Arbeiten mit zwischenmenschlichen Beziehungen kommt dazu, dass andere Personen ihre ganz eigenen Ziele verfolgen, dynamisch auf Einflüsse reagieren und selbst bei der besten Kommunikation nur den bewussten Teil ihrer Intentionen verbalisieren können. Gewisse Verhaltensauslöser liegen im Unbewussten und sind vor allem im Arbeitskontext oft nicht vorhersehbar.
Teamphasen – Konstante im Teambuilding
Umso erstaunlicher finde ich es bei jedem Teamtraining und bei jeder einzelnen Teambuilding-Übung, dass es eine Konstante gibt, ein Modell, das die ablaufenden Prozesse so gut beschreibt, dass es wirklich mit nahezu hundertprozentiger Sicherheit jedes Mal erkennbar zutrifft. Die Rede ist vom Modell der Teamphasen, oft auch als Teamuhr bezeichnet, das von Bruce Wayne Tuckman 1965 entwickelt wurde.
Alle Teams, die sich neu bilden oder die Änderungen unterworfen sind, durchlaufen die selben vier Teamphasen und zwar zwangsläufig. Wer jetzt aufhören will zu lesen, weil sein Team schon seit längerem besteht, dem sei gesagt, dass die Änderungen oder Störungen, die gut funktionierende Teams in der Teamuhr zurückwerfen, sehr klein und oft unbeachtet sein können.
Für alle, die das Modell aber noch nicht kennen, hier erstmal eine Zusammenfassung:
- Teams durchlaufen in ihrer Entwicklung mindestens vier unterscheidbare Phasen, die allerdings nicht alle gleichlang dauern müssen.
- Es kann keine Phase übersprungen werden, allerdings kann die Verweildauer mitunter sehr kurz oder die Ausprägung wenig salient sein.
- Störungen, Änderungen der Teammitglieder, neuartige Informationen von außen oder neuartige Aufgaben können Teams wieder in frühere Phasen werfen.
- Die Phasen werden im Englischen wie folgt bezeichnet:
Forming
Beim Forming findet sich die Gruppe zum ersten Mal zu einer neuen Aufgabe zusammen. Wenn die Gruppenmitglieder sich untereinander noch nicht kennen, ist diese Phase geprägt vom gegenseitigen Kennlernen. Bei sich bekannten Gruppen geht’s um ein vorsichtiges Kennenlernen der Aufgabe und all ihrer Aspekte. Meist möchten die einzelnen Personen noch nicht alles von sich preisgeben, weder von der eigenen Meinung zu der Aufgabe bzw. zum anstehenden Projekt, noch zur Motivation oder ihren anderen persönlichen Eigenheiten. Man schaut sich erstmal an, wie die anderen so ticken, wer extrovertiert nach vorne prescht und wer anderen den Vortritt lässt. Diese Phase macht also aus, dass sich die Gruppe nur wenig um die Aufgabe kümmern kann und die Beziehungen zueinander und das Kennenlernen der gegenseitigen Standpunkte erstmal deutlich mehr im Vordergrund stehen.
Storming
Das namensgebende Storming in Tuckmans nächster Phase bedeutet vor allem, dass nun die höfliche und unsichere Zurückhaltung ersten Unstimmigkeiten über Ziele und Vorgehensweisen, aber möglicherweise auch über die Art und Weise wie Kollegen die Führung übernehmen oder versuchen sich als Führungsperson durchzusetzen, weicht. Unterschiedliche Prioritäten in strittigen Fragen müssen sich nicht immer in einem offenen Machtkampf äußern. Konflikte in den Beziehungen der Teammitglieder untereinander können auch zum Rückzug und Beschäftigung mit sachfremden Dingen führen. Ideen und Arbeitskraft gehen so verloren, weil Teile des Teams das Gefühl haben sowieso nicht angehört zu werden und nichts beeinflussen zu können. Dabei wären ihre Ideen, wie das zu bearbeitende Problem angegangen werden soll, häufig sehr hilfreich, würden sie nicht einfach untergehen.
Zum Ende der Stormingphase hin ist die Gruppenleistung zwar immer noch sehr gering, aber es sind erste Verständigungen über die Art wie gearbeitet werden soll, erkennbar.
Norming
Wie es in der Bezeichnung Norming schon drinsteckt, bilden sich in dieser Phase erste Normen und Regeln aus, wie vorgegangen und miteinander umgegangen wird. Nicht immer Bedarf es dabei einer offenen Diskussion oder einer Abstimmung. Häufig regelt sich das über stillschweigende Vereinbarungen oder im schlimmsten Fall auch über das Recht des Stärkeren. Fürs Erste sind die Rollen geklärt. Jeder hat seine Aufgaben oder sein Grad der Mitarbeit gefunden und erstmalig wird angefangen zu kooperieren. Einzelne Mitglieder und ihre Rollen werden akzeptiert und die Art der Arbeit kann als zielorientiert bezeichnet werden.
Performing
Diese Zielorientierung gipfelt letztendlich im Performing, das heißt in einer Lösungsorientierung, in der das Team geschlossen handelt. Einzelleistungen werden anerkannt und wertgeschätzt. Durch gegenseitige Hilfe und Unterstützung können Rollen im Teams sehr schnell ohne größere Diskussionen bedarfsgerecht wechseln und die Teammitglieder arbeiten erfolgreich zusammen.
Die einzelnen Phasen können je nach Team und Aufgabe sehr unterschiedlich in ihrer Dauer sein. Je neuer das Team, je wichtiger die Aufgabe für die einzelnen Teammitglieder und je komplexer die Anforderungen, desto länger kann ein Team in der Stormingphase verharren. Leider gibt es auch Teams, die überhaupt nicht oder nicht ohne fremde Hilfe in die zweite Hälfte der Teamuhr, also die zielführenden Phasen gelangen. Manchmal helfen nur der Abbruch und eine neue Herangehensweise, wenn Konflikte zu festgefahren sind.
‚Auf der anderen Seite gibt es Kombinationen aus leichten Aufgaben und gut funktionierenden Teams, die die Stormingphase auf wenige Sätze zusammenschrumpfen lassen. Die wichtigsten Dinge sind dann geklärt, ohne dass Konflikte ignoriert wurden und später wieder aufbrechen, was eine sehr reale Gefahr ist. Längeres Storming ist nicht per se ein schlechtes Zeichen, sondern kann durch Gründlichkeit Vorteile bringen.
Das oben erwähnte Zurückwerfen in eine frühere Phase passiert nicht nur bei neuen Aufgaben für ein bestehendes Team, sondern auch bei einer Besetzungsänderung (Umstrukturierungen, Schwangerschaften, lange Krankheiten) oder beim Erkennen, dass der eingeschlagene Lösungsweg nicht zielführend ist. Zumeist werden gerade bei Strategieänderungen die Rollen im Team, vor allem die der Befürworter der fehlgeschlagenen Strategie, hinterfragt und vormals stumme Kritik wird laut, unterdrückte Konflikte werden im unpassendsten Moment an die Oberfläche geholt, genau dann, wenn sowieso das Gelingen des Projekts hinterfragt wird oder generell die Stimmung in der Belegschaft kippt.
Adjourning
Last, not least kommt jede Zusammenarbeit auch mal zu einem Ende. Diese Phase des Adjournings ist die einzige, die man theoretisch weglassen kann. Tuckman selbst hatte sie erst in einer späteren Version seines Modells hinzugefügt. Empfehlenswert ist es auf jeden Fall, auch Abschiede, Veränderungen und natürlich möglichst Erfolge zu feiern. In einer Zeit, in der viele Arbeitsteams nur zu bestimmten Projekten zusammenkommen umso mehr. Adjourning ist also die Phase der Retrospektive, einer Manöverkritik und des Feierns. So kann man sich auch mental von der Teamaufgabe loslösen, sich wieder für neue Aufgaben motivieren und möglicherweise von Teammitgliedern verabschieden, mit denen man einige Zeit nicht mehr so eng zusammenarbeiten wird.
Was hilft es nun über nicht veränderbare Dinge zu schreiben?
Die oben so gefeierte Vorhersagbarkeit und Regelmäßigkeit bedeutet gleichzeitig, dass man beim Teambuilding auch mit den besten Experten nicht um diese Phasen herumkommt. Ein externer Trainer oder Moderator, der einen durch die Phasen durchpeitscht ist genauso kontraproduktiv, wie ein Teammitglied, das jede Diskussion mit dem Worten „Da diskutieren wie jetzt aber nicht drüber!“ unterbricht.
Das einzige, was dabei helfen kann Konflikte zu minimieren und dem Team die nötige Sicherheit zu geben auch aus Tiefs wieder herauszukommen, ist Aufklärung über das was auf sie zukommen kann und wird. Wenn jeder weiß, dass Rückschläge, Meinungsverschiedenheiten und ein Wechsel von produktiven, euphorischen Phasen mit demotivierenden Erlebnissen dazu gehören und keineswegs ein Zeichen für ein schlecht funktionierendes Team sind, dann stärkt das die Selbstheilungskräfte für ein Team enorm. Selbst im Nachhinein werden die Tiefs dann nicht als zwischenzeitliche Phasen der Schwäche, sondern als hilfreiche und wichtige Elemente im Erfolgsprozess wahrgenommen. Das ist eine essentielle Voraussetzung dafür, dass die Selbstwirksamkeitserwartung bezüglich zukünftiger Aufgaben wächst.
Noch besser ist es natürlich diesen wiederkehrenden Prozess unter Anleitung zu erleben und zwar möglichst bei einer Aufgabe, die zwar ernst genommen wird, aber nicht existenzbedrohend für Unternehmen oder Einzelpersonen sind. Das bedeutet ein Teamtrainer schafft einen geschützten Raum und eine dem Team angemessene Aufgabe, die alle Phasen herausarbeitet, was eine gewisse Erfahrung benötigt. In Reflexionsrunden können psychologische Hintergründe erklärt und Intentionen der einzelnen Teilnehmer erfragt werden. Jeder kann für sich sinnvolle Lösungen erarbeiten und austesten um aus kritischen Teamphasen herauszukommen und im „Ernstfall“ die nötige Resilienz gegenüber Rückschritten zu an den Tag legen zu können. Teams, die auch im mitten im Storming handlungsfähig bleiben und wissen, dass sie so etwas schon einmal gut gemeistert haben, gelangen viel schneller wieder in zielführende Phasen in denen sich die Gedanken um ihr Projekt, ihre Produkte oder ihre Kunden drehen und nicht nur um das Team selbst.